Wenn ich nach dem Aufwachen aus dem Fenster sah, konnte ich eine wunderschöne uralte Eiche sehen. Mit ihren mächtigen Ästen hatte man das Gefühl sie würde winken und rufen; “Hallo, Guten Morgen, auch schon wach“.
Als auf der anderen Straßenseite ein neues Haus gebaut wurde beobachtete ich nervös, wie das Haus immer mehr in die Höhe wuchs. Ich befürchtete, dass das neue Gebäude den Blick auf die Eiche verdecken würde. Erleichtert bemerkte ich den fertigen Dachstuhl – ich konnte die alte Dame immer noch sehen.
Doch es sollte anders kommen. Mitte Juli gab es einen so heftigen Sturm, dass etwa die Hälfte des Baumes abbrach. Unser Sonntagsspaziergang führte zur Eiche und gemeinsam mit der Nachbarin haben wir den Stammumfang in etwa einem Meter Höhe gemessen. Stolze 4,92 Meter. Im Internet gibt es eine Umrechnungstabelle, die uns ein Alter von 388 Jahren vorgab. Das bedeutet, dass im Jahr 1635, mitten im dreißigjährigen Krieg, eine Eichel auf den Boden fiel und Wurzeln schlug. Die Eiche erlebte also die Französische Revolution, Kaiser Napoleon, den Untergang der Titanic und 2 Weltkriege. Und das sind nur einige der geschichtlichen Ereignisse in 388 Jahren. Es bedeutet aber auch, dass in dieser Zeit etwa 6 Generationen Menschen im Schatten der Eiche geboren wurden, sich verliebt haben, Kinder bekommen und ihr Leben beendet haben.
Meine Nachbarin erzählte, dass sich im Stamm durch einen Blitzschlag, ein Hohlraum befand, in dem sie sich als Schulmädchen gerne versteckt hatte. Im Laufe der Jahre hat der Baum mit Hilfe der teilungsfähigen Zellen im Kambium diesen Spalt wieder verschlossen. Eine andere Nachbarin bestätigte nicht nur einen, sondern mehrere Blitzeinschläge besonders in den 1940ger Jahren. Wie wertvoll solch ein Baum ist, erkannte eine ehemalige Besitzerin der Eiche, die ich gar nicht kennengelernt habe, da sie etwa 1960 mit 90 Jahren gestorben ist. Sie hatte sich bei der Hofübergabe den Baum als Austrag ausbedungen. Sie hätte ihn aber fällen lassen müssen, um einen materiellen Gewinn zu erlangen. Das hat sie jedoch nie getan. Wer weiß, vielleicht wollte sie dies ja sogar durch ihre Forderung verhindern und so konnten wir uns noch etwa 100 Jahre länger an seinem Anblick erfreuen.
Nun stand also noch die Hälfte des Baumes und es bestand die große Gefahr, dass sie auf das benachbarte Haus fallen könnte. Während noch über eine Fällung spekuliert wurde, folgte kurz nach dem Sturm ein zweiter, glücklicherweise ließen die orkanartigen Windstöße den Rest des Baumes am Haus vorbeifallen. Der Stamm brach vollends auseinander und man konnte die Schädigung durch die Blitzeinschläge gut sehen, aber auch wie lange der Baumriese trotz Schädigung noch durchgehalten hatte.
Jetzt steht noch der Stumpf dient so zahlreichen Insekten als Lebensraum. Zum Glück steht etwa 50 Meter weiter noch eine 2. Eiche mit etwa denselben Maßen und noch eine, die ungefähr 50 Jahre alt sein dürfte. Und meine Nachbarin hat einen Sämling aus dem letzten Jahr, der auch einen Platz bekommen soll. So wird es also noch Eichen geben, lange nach mir. Und das stimmt mich zuversichtlich, sind Bäume doch oft sehr unbeliebt, weil sie so viel „Schmutz“ machen. Sie müssen nur mit den Klimaveränderungen zurechtkommen.
Das Bild hat mir gestern eine Nachbarin zur Verfügung gestellt. Es zeigt die Tochter der damaligen Baumbesitzerin Fanny Angermeier, spätere Lurz, mit einem Pflegekind aus der Nachbarschaft.
Es wurde wahrscheinlich 1958 gemacht und man kann erkennen, wie vor allem der Baum im Hintergrund in 80 Jahren an Umfang zulegte.
In diesem Sinne eine wunderbare, friedvolle und gesegnete Weihnachtszeit.
Servus eure
Gitti
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